Erfahrungen verarbeiten – Partnerschaften ermöglichen
von Katja Hoffmann
In einer internationalen Vorbereitungsklasse geht es um viel mehr als DaZ-Vermittlung. Katja Hoffmann berichtet über ihre Erfahrungen an einer Hamburger Stadtteilschule.
„Ich weiß nicht, Frau Hoffmann, ob ich bleibe; ich will schon, aber Mama vielleicht nicht ...!“
So, ähnlich und auch ganz anders antworten die Schülerinnen und Schüler der ukrainischen internationalen Vorbereitungsklasse (IVK) Jahrgang 9, die genau ein Jahr Deutsch gemeinsam gelernt haben und bereits in einem Jahr ihren deutschen Schulabschluss machen (sollen), den Ersten oder Mittleren Schulabschluss, und gerade dabei sind, ihre Zukunftsperspektiven zu sondieren.
INFODie IVK9 ist eine Sonderform der internationalen Vorbereitungsklassen. Dort lernen Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 9 für zwei Jahre gemeinsam DaZ, um am Ende dieser Zeit idealerweise entweder den Ersten (ESA) oder den Mittleren Schulabschluss (MSA) zu absolvieren. |
Für die 19 Schüler:innen dieser Klasse ist Schule mehr als der Erwerb der deutschen Sprache und der erste Zugang zum deutschen Schulsystem. Der gemeinsame Hintergrund als Schutzsuchende verbindet sie zu einer Gemeinschaft, die mit der Heterogenität der Einzelnen diese Zeit gestaltet, ohne fixe Perspektive für ihre Zukunft zu haben.
Neugier, Solidarität und Empathie begegneten ihnen an der Schule. Sie drückten sich dadurch aus, dass von Beginn an viele Schülerinnen und Schüler der Regelklassen ihre Unterstützung für die neu angekommenen Schülerinnen und Schüler angeboten und durch gemeinsame Klassenaktivitäten realisiert haben.
Die hier üblichen Unterrichtsformen sind für sie ungewohnt, andere Settings als strikter Frontalunterricht sind nahezu unbekannt. So probieren die Schülerinnen und Schüler mit Interesse und Neugierde kooperative Arbeitsformen aus, die ihnen dabei helfen, sich sowohl schulisch zu unterstützen als auch außerschulisch Kontakte herzustellen. Gemeinsame, teambildende Aktivitäten wie Ausflüge haben dazu ebenso beigetragen, eine Klassengemeinschaft zu bilden.
Zwei herausfordernde Aufgaben
Ich habe ihnen zwei herausfordernde Aufgaben gestellt, die zum Gegenstand hatten, die unmittelbare Kriegserfahrung zu thematisieren, gleichzeitig als Klasse an einer gemeinsamen, sinnstiftenden Aufgabe zu arbeiten und dabei Kenntnisse im Filmdreh und -schnitt zu erwerben.
„Was mache ich, wenn die Einberufung kommt?“ So lautete das realitätsnahe Thema eines Films, anhand dessen die Schülerinnen und Schüler Erfahrungen von Familienangehörigen und Freunden in der Ukraine filmisch verarbeiteten: Escape. „Was war vor einem Jahr an dem Tag, als der Krieg ausbrach?“ war die Frage des Zeitzeugen-Dokuments in Form eines interviewgestützten Films, in dem die Schülerinnen und Schüler am 24.02.2023 den Beginn des Krieges und ihre Flucht selbstständig dokumentierten.
Beide Filme dienten zum einen dem eigenen Aufarbeiten. Sie sollten aber auch Möglichkeiten schaffen, sowohl mit Lehrerkräften als auch mit Schülerinnen und Schülern der Regelklassen ins Gespräch zu kommen. Solche Gespräche ermöglichen es, über den Krieg und die eigenen Erfahrungen Auskunft geben zu können. Sie ermöglichen es aber auch, herauszutreten aus der Patenschaft und überzugehen zu einer Partnerschaft mit anderen Schülerinnen und Schülern.
Von Patenschaft zu Partnerschaft zu Freundschaften
Die Klassengemeinschaft wird geschätzt, doch besteht bei vielen auch der Wunsch und die Hoffnung, Kontakte zu finden und Freundschaften zu schließen mit Schülerinnen und Schülern der Regelklassen.
Zahlreiche Möglichkeiten bieten sich dazu in klassenübergreifenden Projekten an. Beispiele dafür sind die Mitarbeit in der Europa-AG oder bei den Schulsanitäterinnen und -sanitätern. Sei schaffen manchmal thematisch oder praktisch Anknüpfungspunkte und Herausforderungen, in denen eigene Interessen dazu verhelfen, Neues zu erlernen und Kontakte außerhalb der eigenen Klassen zu knüpfen.
Zukunftsperspektiven
Nach einem Jahr wechseln einige wenige in Regelklassen, in denen sie in einzelnen Fächern in den vorangehenden Monaten schon erste Erfahrungen sammeln konnten. Die anderen legen ihren Fokus auf den anstehenden Schulabschluss. Einige entwickeln mithilfe der Erfahrungen des Berufspraktikums erste Berufsideen, die ihnen Anknüpfungspunkte einer Zukunftsperspektive bieten.
„Du weißt nicht, ob du bleiben kannst oder wirst? Nutze jetzt diese Zeit mit allen Möglichkeiten, die dir zur Verfügung stehen!“
„IVK-Klassen sind eine Bereicherung für Schulen, weil die Schüler:innen dieser Klassen über einen Erfahrungsschatz verfügen, den sie mit anderen teilen und von dem alle lernen können.“ |
Katja Hoffmann
ist Klassenlehrerin einer Internationalen Vorbereitungsklasse an einer Hamburger Stadtteilschule.