Begabte fördern
Begabungsförderung gehört an alle Schulformen!
Begabte und Talentierte gibt es nicht etwa nur an Gymnasien. Gefördert werden sollten nicht nur Kinder und Jugendliche, die ihre Begabungen und ihr Talent schon gezeigt haben, sondern alle.
Was meint eigentlich Begabung? Wodurch unterscheidet sie sich von Talent? Was haben beide mit Leistung und Potenzial zu tun? Zeit für eine kurze Begriffklärung, die du ausführlicher beim LemaS-Forschungsverbund findest.
Begabung:
- meint leistungsbezogenes Entwicklungspotenzial,
- umfasst Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale, psychosoziale Fertigkeiten,
- ist dynamisch: entwickel- und veränderbar.
Potenzial:
- meint bestehende, noch nicht ausgeschöpfte (Entwicklungs-)Möglichkeit,
- kann durch Förderung realisiert werden.
Talent:
- ist gezeigte überdurchschnittliche Leistung,
- meint bereits entwickelte, sichtbare Begabung (Performanz),
- bezieht sich oft auf einen bestimmten Bereich, z. B. mathematisch, musikalisch, schauspielerisch, sportlich …
Leistung:
- meint einerseits Engagement, Investition, Performanz,
- aber andererseits auch deren Ergebnis,
- ist dynamisch: längere oder kürzere Phasen besonderer Leistungsstärke.
Nach: Forschungsverbund LemaS (2020): Begriffsklärung von „Begabungs-, Begabten-, Potenzial-, und Talentförderung“
Begabtenförderung ist das eine
Ein Teil von Begabungsförderung, der in Schule oft im Fokus steht, ist die Förderung (besonders) Begabter. Sie setzt an, wenn einzelne Kinder und Jugendliche bereits als begabt erkannt bzw. diagnostiziert wurden, z. B. das Mathegenie, der Leistungsturner, die Jugend-Musiziert-Siegerin. Nicht selten stammen sie aus Elternhäusern, die ihnen zusätzliche Anregungen ermöglichen und finanzieren können, diese aber auch von der Schule einfordern. Nicht selten besuchen sie Gymnasien. Oft ist das für andere Schulformen gar kein oder nur ein Randthema, obwohl es zahlreiche Angebote gibt, die prinzipiell für alle offen sind. Aber den Weg dorthin müssen die Kinder und Jugendlichen erst einmal finden.
Das andere: Begabungen überhaupt zu entdecken und fördern
Begabte und Talentierte gibt es nicht etwa nur an Gymnasien, sondern an allen Schulformen, denn jedes Kind hat Begabungen, die es zu entdecken gilt. Der Ansatz ist, nicht erst nach der Diagnose „Dieses Kind ist begabt.“ zu fördern, sondern so früh und oft wie möglich alle Kinder, da sonst viel Potenzial verloren geht und insbesondere Bildungsbenachteiligung verstärkt wird.
Wie soll das im Regelunterricht gehen?
Dazu gibt es verschiedene, erprobte Konzepte für alle Fächer und Schulformen. Für den Mathematikunterricht gibt es beispielsweise die spannenden Forscheraufgaben von „Deutschlands schönste Matheaufgaben“. Weitere Anregungen und Berichte findest du auch bei der Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“ (LemaS).
Das kannst du tun
- Mach dir klar, dass Begabungen nicht statisch, sondern dynamisch sind: Sie können und müssen sich entwickeln, und da kommst auch du mit ins Spiel.
- Trau jeder Schülerin und jedem Schüler Leistungen zu. Denn Leistung kann überhaupt nur gezeigt werden, wenn du jemandem Leistungen zutraust und sie von ihm erwartest.
- Schaffe Augenöffner: Biete Gelegenheiten, in denen du die Schülerinnen und Schüler an unterschiedliche Domänen heranführst, in denen sie sich versuchen können. Denn bei vielen bilden sich Begabungen gar nicht im üblichen schulischen Leistungsverhalten ab.
- Wähle relevante Themen: Arbeite mit ihnen an Themen, die nicht nur schulisch relevant sind, sondern auch für die „reale Welt“ und idealerweise für sie persönlich.
- Ermögliche aktiv-entdeckendes bzw. forschendes Lernen, weil es eine „natürliche Differenzierung“ vom Kind und vom Fach aus begünstigt: Alle arbeiten an derselben Sache, stellen sich aber unterschiedliche Fragen, lösen Probleme auf unterschiedlichen Wegen, werden nicht vorschnell auf ein Niveau festgelegt und ausgebremst.
- Ermutige deine Schülerinnen und Schüler, sich auch mal nach hoch hängenden Früchten zu strecken. Erkenne solche Versuche an, auch wenn sie sich dann als zu hoch hängend herausstellen. Oder schau, was für sie eine passende Leiter sein könnte.
Literatur
Forschungsverbund LemaS (2020): Begriffsklärung von „Begabungs-, Begabten-, Potenzial-, und Talentförderung“. Online: https://www.lemas-forschung.de/veroeffentlichungen/dokumente-der-initiative (Post vom 14.10.2020, Zugriff: 14.06.2023).
Wenn alle dicke Bretter bohren
Preisgekrönte Forscheraufgaben vom Wettbewerb „Deutschlands schönste Matheaufgaben“
Forscheraufgaben eignen sich zur Förderung aller Lernenden, auch besonders Begabter
Wie gelingt Begabungsförderung, die nicht nur die erreicht, die bereits als begabt und talentiert erkannt wurden, sondern alle anspricht und dadurch so manche Begabung erst ans Tageslicht befördert? Das entwickelt, erprobt und erforscht beispielsweise die Bund-Länder-Initiative „Leistung macht Schule“, kurz: LemaS, seit 2018. Eine Möglichkeit dafür sind Forscheraufgaben.
Hier stellen wir dir an einem Beispiel für den Mathematikunterricht konkret vor, wie du Forscheraufgaben so stellen kannst, dass sie sich erfolgreich im Regelunterricht für die Förderung aller einsetzen lassen.
Zum Beispiel: Der Holzpolter im Wald
Ein Holzstapel im Wald provoziert vielfältige mathematische Fragen, mit denen sich verschiedene mathematische Grundkompetenzen üben und wiederholen lassen. Auch fast alle mathematischen Leitideen können abgedeckt werden, hier zum Beispiel die Leitideen Zahl, Raum und Form, Messen sowie funktionale Zusammenhänge.
Foto: Holzpolter © Dirk Jentsch, Standort Symbol © sissoupitch/stock.adobe.com
Bevor es losgehen kann, brauchen die Schülerinnen und Schüler aber ein paar Begriffe und Fakten:
- Holzpolter: zur Abholung bereitgelegtes gestapeltes Holz (immer in derselben Baumart)
- Die maximale Tiefe des Holzstapels ist 20 m.
- Die Gesamtbreite des Stapels beträgt 10 m.
- Regelmäßige senkrechte Linien und Punkte dienen zur Markierung der Länge des Stapels.
- Zahlen geben häufig die Höhe des Stapels an der jeweiligen Stelle an.
Aber auch ein paar mathematische Vorkenntnisse brauchen die Schülerinnen und Schüler:
- Flächeninhaltsberechnungen von Rechtecken und Trapezen
- Volumenberechnungen von Prismen
- Kompetenzen in der Prozentrechnung
- Kompetenzen im Berechnen der Dichte und der Masse von Holz
Wie funktioniert Differenzierung bei Forscherfragen?
Entwickle eigene spannende mathematische Fragen zum Holzpolter! So lautet dann die Aufgabe, die zum aktiv-entdeckenden bzw. forschenden Lernen einlädt. Sie ermöglicht es, dass alle einen Aspekt aufgreifen, der sie interessiert und den sie fachlich bewältigen können.
Es kann gut sein, dass manche ein Brett vor dem Kopf haben. Ihnen fällt partout keine Frage ein. Dann kannst du ihnen Ideen für Forscherfragen anbieten.
Forscherfrage 1 Wie viele Holzstämme liegen auf dem Polter? |
Forscherfrage 2 Welche Fläche auf dem Waldboden nimmt der Holzpolter ungefähr ein? |
Forscherfrage 3 Welches Volumen hat der Holzpolter ungefähr? |
Forscherfrage 4 Wie schwer sind alle Holzstämme insgesamt? |
Forscherfrage 5 Wie viele Lkw sind nötig, um das gesamte Holz zu transportieren? |
Forscherfrage 6 Wie lang wäre die Strecke, wenn man alle Holzstämme des Polters aneinanderlegen würde? |
Forscherfrage 7 Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Hohlräume zwischen den Stämmen? |
Forscherfrage 8 Wie viele Quadratmeter Wald wurden hier gefällt? |
Forscherfrage 9 Der Stapel hat eine bestimmte Form. Wäre auch eine andere Stapelweise denkbar? Was wären Vor- und Nachteile? |
Diese Ideen regen an. Dass sie von 1 bis 9 unterschiedlich komplex sind und unterschiedliche Fachinhalte betreffen, ermöglicht zusätzliche Differenzierung. Denn man kann nehmen, was man schon kennt und kann, was einen besonders interessiert oder was einen besonders herausfordert.
TIPPAndere sind ratlos, wie sie die Forschungsfrage angehen sollen. Ihnen kannst du zu ihrer Forscherfrage noch einen Tipp geben, z. B.
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Die meisten Forscherfragen lassen sich einfacher und grober lösen oder schwieriger und genauer. So lässt sich beispielsweise das Volumen des Holzstapels grob als Quader oder genauer als Prisma annähern.
Am besten bearbeiten die Schülerinnen und Schüler ihre Forscheraufgaben selbstständig. Sie bestimmen selbst über ihr Vorgehen, das Nutzen von Lernmaterialien wie Lineal, Geodreieck, Taschenrechner. Sie entscheiden selbst, ob sie noch Informationen im Internet recherchieren, ihre Fragestellungen noch biologisch, ökologisch, geografisch erweitern oder Grafiken und Tabellen digital aufbereiten.
Durch diese vielen Optionen bieten Forscherfragen den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, sich von den Aufgaben herausfordern zu lassen, an ihnen zu wachsen, aber dennoch bei Bedarf Unterstützung zu erhalten. So können alle auf ihre Weise dicke Bretter bohren.
INFO:
Die zugrundeliegende Forscheraufgabe „Der Holzpolter im Wald“ wurde von Elisa Müller und Dirk Jentsch im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „Deutschlands schönste Matheaufgaben“ entwickelt.
Prof. Dr. Friedhelm Käppnick und Dr. Mandy Fuchs zu den Zielen des bundesweiten Wettbewerbs „Deutschlands schönste Matheaufgaben“:
„Unsere Intention besteht hierbei einerseits darin aufzuzeigen, welche vielfältigen und beeindruckenden Potenziale Lehrkräfte im Schulalltag entfalten bzw. entfalten können und dass solche innovative Lernumgebungen auch sehr erfolgreich im Regelunterricht für die Förderung aller und hierin eingeschlossen die besonders begabten Schüler eingesetzt werden können. Andererseits bieten die erprobten Aufgabenfelder in verschiedener Hinsicht Anregungen für alle interessierten Lehrkräfte, die Lernumgebungen adaptiv angepasst in den eigenen Unterricht zu integrieren und ihn auf diese Weise zu bereichern.“ |